Kein „Spezialfall“

Zur Professionalisierungsdebatte in der Ausstiegs- und Distanzierungsarbeit

Autor/innen

  • Dennis Walkenhorst

Schlagwörter:

Extremismusprävention, Soziale Arbeit, Ausstiegs- und Distanzierungsarbeit, Islamismus, Rechtsextremismus

Abstract

Ausstiegs- und Distanzierungsarbeit wird heute als (1.) „professionalisiertes“ und gleichzeitig (2.) „multiprofessionelles“ Handlungsfeld beschrieben. Die Vorteile hoher Multiprofessionalität wurden an vielen Stellen betont. Sie wird, sowohl aus Praxis- als auch aus Forschungssicht, gemeinhin als unverzichtbare Grundlage der Arbeit beschrieben. Hohe Multiprofessionalität führt aber auch dazu, dass Ausstiegs- und Distanzierungsarbeit in ihrer Selbstverortung stets „irgendwo dazwischen“ steht, als „besonders“ beobachtet wird und in der Folge (1.) keine eindeutige (Selbst-)Verortung als Handlungsfeld der Sozialen Arbeit erfolgt und (2.) Bezüge zu bestehenden Theorien, Methoden und Konzepten Sozialer Arbeit kaum zu erkennen sind. Dies gilt insbesondere für die Handlungspraxis im Themenfeld Islamismus. So ist hier im Vergleich zum Phänomenbereich Rechtsextremismus der Anteil der Mitarbeitenden mit (sozial-)pädagogischer bzw. sozialarbeiterischer Ausbildung deutlich geringer (Figlestahler/Schau 2021: 36f.). Auf der anderen Seite taucht in der sozialarbeitswissenschaftlichen Darstellung und Beschreibung der Handlungsfelder Sozialer Arbeit die Ausstiegs- und Distanzierungsarbeit fast nie auf – und wenn, dann nur mit explizitem Bezug zur Arbeit mit rechtsextremen Klient*innen oder, weitaus häufiger, mit Betroffenen rechtsextremer Gewalt.

Betrachtet man aber die Kernelemente der Ausstiegs- und Distanzierungsarbeit phänomenunabhängig, so wird deutlich, dass nahezu alle Bestandteile der Arbeit grundlegend sozialarbeiterischen Charakter aufweisen. Einzig die Ideologiearbeit kann als einigermaßen „untypisches“ Element identifiziert werden. Diese Form der „Entkopplung“ bzw. „Sonderstellung“ lässt sich auch anhand aktueller Kontroversen bzw. Diskurse innerhalb des Handlungsfeldes bzw. Phänomenbereichs nachzeichnen. Hier wurden und werden Debatten geführt, die so bzw. in ähnlicher Form mit ähnlichen Positionen/Argumenten z. T. bereits seit Jahrzehnten im Phänomenbereich Rechtsextremismus, vor allem aber in der allgemeinen Sozialarbeit (bzw. ihrer Wissenschaft) stattfinden – ohne, dass darauf systematisch Bezug genommen wird.

Sollen Professionalisierungsprozesse zukünftig gelingen, benötigt es (1.) die Entwicklung eines phänomenübergreifenden Selbstverständnisses der in der Ausstiegs- und Distanzierungsarbeit tätigen Akteur*innen; (2.) eine Abkehr von Selbst- und Fremdbeschreibungen als „Spezialfall“ (Figlestahler/Schau 2021) und eine eindeutige (Selbst-)Verortung als (einheitliches) Handlungsfeld innerhalb der Profession Sozialer Arbeit; (3.) darauf basierend zukünftig eine systematische Bezugnahme auf vorliegende Theorien, Konzepte, Methoden und Diskurse innerhalb der Sozialarbeitswissenschaft und Bezüge zu ähnlich gelagerten Handlungsfeldern unter Beibehaltung des systematischen Einbezugs anderer relevanter Professionen und Disziplinen sowie, als Grundlage hierfür, die Schaffung von phänomenunabhängigen Qualifizierungsangeboten an Hochschulen bzw. Fachbereichen Sozialer Arbeit (z. B. in Form von Vertiefungsmodulen für Bachelorstudierende oder eigenständigen Masterstudiengängen).

Veröffentlicht

17.12.2024

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Rubrik

Artikel

Zitationsvorschlag

Kein „Spezialfall“: Zur Professionalisierungsdebatte in der Ausstiegs- und Distanzierungsarbeit. (2024). Zeitschrift für Praxisorientierte (De-)Radikalisierungsforschung, 3(1), S. 155 - 167. https://zepra-journal.de/index.php/zepra/article/view/36